Mabuhay Filipinas – Willkommen auf den Philippinen
Die ersten Eindrücke
Kaum angekommen, hiess es bereits: Augen auf! Gestrandet inmitten der Weltmetropole Manila – die viertgrösste Metropolregion der Welt mit über 24 Millionen Einwohner/innen – fühlten wir uns erst einmal etwas verloren. Keiner von uns hatte jemals eine solch lebendige Weltstadt gesehen. Kein Vergleich zu den organisierten, strukturierten und vergleichsweise kleinen Metropolen der westlichen Welt. Allen Widrigkeiten zum Trotz scheint die Infrastruktur trotzdem zu funktionieren. So bahnen sich mehrere Millionen Fahrzeuge jeden Tag ihren Weg ins Stadtzentrum. Verkehrsregeln scheinen dabei weniger Priorität zu haben. Auf einer vierspurigen Strasse fahren meist fünf oder sechs Autos nebeneinander, dazwischen schlängeln sich gekonnt unzählige Rollerfahrer. Sie transportieren bis zu vier Personen, Helme sind eine Seltenheit. Wir staunten nicht schlecht: Während drei Wochen haben wir trotzdem nur einen kleinen und harmlosen Verkehrsunfall gesehen!
Am zweiten Abend, nach einem eindrucksvollen Tag im Stadtteil «Las Piñas» – unserer Heimat für den Aufenthalt und die Zwischenstopps in Manila – wurden wir mit festlichen Aktivitäten offiziell begrüsst. Die «Welcoming Night» kam ganz anders als wir erwartet hatten. Die rund 50 Leitenden der katholischen Jugendorganisation «Chiro Pilipinas» boten viel Spektakel. In mehreren Gruppen führten sie vielfältige Tänze vor. Als Höhepunkt hatten sie gar Studierende einer örtlichen Tanz-Hochschule eingeladen. Deren Vorführungen waren schlicht phänomenal. Bereits nach wenigen Augenblicken hielt es niemanden mehr auf den Stühlen. Wir durften anschliessend den vorgestellten Tanz selber ausprobieren – zum Vergnügen der anwesenden Gäste.
Bald lernten wir Manila richtig kennen. Von den unzähligen und so unterschiedlichen Eindrücken beinahe erschlagen, fällt einem bei diesem Erlebnis ein Wort ein: Dichte. Selten trifft man auf der Welt auf einen kontroverseren Zusammenprall von Arm und Reich. In manchen Stadtteilen ragen hochmoderne und westlich anmutende Hochhäuser in den Himmel, dazwischen quetschen sich Wellblechhütten und dergleichen. Selten lassen sich auf der Welt wohl mehr Menschen auf engem Raum antreffen, als im Stadtteil China Town. Im weltweit ältesten «Chinesen-Quartier» bleibt kaum Raum zwischen den einzelnen Marktständen, an denen von merkwürdig anmutenden Früchten, über uralte Elektroteile bis zum Hundefleisch alles feilgeboten wird. Die intensiven Gerüche und zuweilen der schreckliche Gestank sind Zeuge dieser unglaublichen Menschenansammlung. Zuletzt trifft man selten engere Strassenverhältnisse und ein schlimmeres Verkehrschaos als in Manila an. Selbst abseits der Stosszeiten kann eine Reise durch die Stadt mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Einzig von 2 bis 4 in der Früh sei der Verkehr erträglich, erklärten uns Einheimische.
Beeindruckendes Leben in der Region Infanta
Nach diesen Impressionen aus dem chaotischen Manila folgten einige, vermeintlich ruhigere Tage an der Pazifikküste. Im armen Fischerdorf Dinahican in der Region Infanta besuchten wir das «Sto. Niño Day Care & Feeding Cente». Es ist jene Vorschule, welche durch die Solidaritätsaktion jubla.infanta unterstützt wird – ja die durch diese sinnvolle Jubla-Aktion überhaupt bestehen kann. Philippinische Kinder erhalten dank der Jubla täglich eine warme Mahlzeit, hygienische Grundversorgung und schaffen den Einstieg in die wegweisende Schulbildung. Betreut und koordiniert wird Sto. Niño wie viele andere Projekte in den Philippinen durch das Fastenopfer – einem engen Partner der Jubla.
Während dreier Tage lebten wir alle bei Gastfamilien, deren Kinder die Jubla-Vorschule besuchen. So wurden wir getrennt und begaben uns in verschiedene Dörfer. Manche waren sehr abgelegen und bestanden lediglich aus Holz- und Strohhütten. Doch dies beeinträchtigt das Leben der Einwohner/innen kaum. Alle schienen glücklich; die Gastfreundschaft gegenüber der einzigen weissen Person seit langer Zeit sucht seinesgleichen. Besonders die vielen Kinder strahlten von früh bis spät. Kaum zu glauben, dass manche Familien (mit meist vier oder mehr Kindern) mit einem wöchentlichen Einkommen von knapp 100 Pesos (2.20 Franken) überleben können. Ein etwa 60-jähriger Mann fragte mich eines Abends gar, ob wir Fischer oder Bauern seien. Lange Erklärungen waren zwecklos, mehr als diese zwei Berufe kannte er nicht. Die Existenz und Notwendigkeit weiterer Berufe konnte er sich gar nicht vorstellen. Er war auch entsetzt, als ich ihm den Marktpreis für Fische in der Schweiz nicht nennen konnte. Wie können wir die wichtigste Zahl in unserem Leben nicht wissen, fragte er. So verschieden waren unsere Welten. Trotzdem lebten wir problemlos miteinander und hatten viel Spass. Am Morgen ging man mit einem rudimentären Kanu auf den Pazifik, um mit einer sehr einfachen und wohl uralten Methode ein paar Fische zu fangen. Am Nachmittag gönnte man sich ein kleines Nickerchen in der Hängematte und spielte anschliessend mit den vielen Kindern. Lustig, wie dieselben Spiele wie in der Jubla auch auf den Philippinen auf Begeisterung stossen!
Später führte unsere Reise auf die Inselgruppe Visayas weiter im Süden der Philippinen. In der Stadt Tacloban sahen wir die enorme Zerstörung und den Wiederaufbau nach dem verheerenden Taifun Haiyan (respektive der philippinischen Bezeichnung Yolanda). Dieser traf die Stadt an der Pazifikküste am 8. November 2013 mit voller Wucht und zerstörte sie beinahe gänzlich. Man stelle sich nur einmal vor, was Windgeschwindigkeiten von 375 km/h anrichten können!
Haiyan gilt als einer der stärksten je registrierten Tropenstürme weltweit. Doch neben den eindrücklichen Bildern machten uns die Geschichten der Einheimischen noch viel betroffener. Wir durften einen Abend mit Jugendlichen verbringen und hörten Geschichten von der schier unvorstellbaren Zerstörungswut und dem damit verbundenen Leid. So verloren sehr viele ihre Häuser und teilweise auch die ganze Familie. Zuvor kannten wir solche Geschichten über Supertaifune nur aus dem Fernsehen und sie schienen jeweils weit entfernt. Plötzlich aber waren wir am Ort des Geschehens und hörten die individuellen Leidensgeschichten. Auch fast zwei Jahre danach riefen die Geschichten bei den Betroffenen noch viele Tränen hervor.
Unser Aufenthalt auf den Philippinen bot viel Abwechslung – so reisten wir tags darauf zum ersten Mal in eine touristische Gegend und besuchten in Oslob nahe der Stadt Cebu eine Chiro-Gruppe. Zusammen verbrachten wir einen bunten Abend voller Gesang und Tanz. Wir waren besonders erstaunt, als plötzlich der berühmte Après-Ski-Hit «So a schöner Tag» aus den Lautsprechern ertönte; anscheinend erfreut er sich auf den Philippinen grosser Beliebtheit!
Daraufhin verbrachten wir einen weiteren Tag mit den Leitern aus Oslob: Schnorcheln mit Walhaien, Schwimmen an einer traumhaften Sandbank im Pazifik und der Besuch eines wunderschönen Wasserfalls standen auf unserem Programm – für einmal richtiges Touristenprogramm also.
Methodenkompetenz statt 1.-August-Feier
Bereits vor der Reise hatte uns Olan, der National Leader der Chiro Philippinen, um einen Beitrag an ihren zweitägigen Leiterkurs gebeten. Mit viel Freude durften wir rund 50 Leiterinnen und Leiter – einen Viertel aller Chiro-Leitenden auf den Philippinen – in den Bereichen Methodenkompetenz, Aufbau und Organisation einer Schar, Öffentlichkeitsarbeit und persönlicher Motivation für die Jubla- respektive Chiro-Aktivitäten ausbilden. Trotz aller Hinweise im Vorfeld waren wir über die Art und Weise, wie die Chiro ihre Kurse organisieren, doch etwas überrascht. Welch Unterschiede! Unser erster Block hätte eigentlich am Samstag um 15 Uhr beginnen sollen, tatsächlich konnten wir erst nach dem Nachtessen mit den Vorbereitungen beginnen. Eine solche Verspätung ist für Philippiner nichts Ungewöhnliches und – ganz ehrlich – auch uns erstaunte dies nach zwei Wochen Aufenthalt auf den Philippinen nicht mehr wirklich. Am späten Abend folgte dann doch noch etwas Vertrautes. Als wir vor einem grossen Lagerfeuer erneut ein typisches Schweizer Lied vorstellten – wir hatten den «Rägebögler» bis dahin schon gefühlte hundert Mal vorgesungen – schwenkte Kilian plötzlich eine kleine Schweizerfahne in den Nachthimmel. Es war der Abend des 1. August, so weit weg von Zuhause hätten wir das beinahe vergessen.
Bergdörfer, Reisterrassen und Natur pur
Die letzte Woche der Philippinenreise verschlug uns zusammen mit unseren Begleitern in die nördlichste Region des Inselstaats. In den Bergdörfern Baguio, Sagada und Banaue kühlten wir uns etwas ab. Denn verglichen mit der unerträglichen Hitze im Smog von Manila fühlten wir uns bei etwa 25 Grad (trotz der anhaltend hohen Luftfeuchtigkeit) beinahe etwas heimisch. Die Bergkulisse trug sicher auch ihren Teil dazu bei. Die Bergprovinz bot wunderschöne Landschaften und sehr freundliche Begegnungen. Als Höhepunkt wanderten wir durch riesige und scheinbar nicht endende Reisterrassen, zwei Stunden hinab zu einem kleinen Wasserfall. Nach dem Mittagessen und dem Sprung ins kühle Nass folgte ein langwieriger, dreistündiger Aufstieg. Unterwegs legten wir bei einer kleinen Beiz inmitten der Terrassen eine Rast ein. Neben uns waren nur Einheimische dort und so warfen wir uns in die traditionelle Kleidung – sie fällt bei Männern sehr knapp aus! – und halfen ihnen beim Kaffee herstellen und der Verarbeitung des Reises; eine schweisstreibende Arbeit.
Ein schwerer Abschied
Sodann folgte auch schon der letzte Abend auf den Philippinen: Auf einem schönen Hügel mit Blick auf die Millionenmetropole Manila genossen wir den Sonnenuntergang und die letzten Stunden unserer eindrücklichen Reise. Nochmals versammelten sich über 50 Leiterinnen und Leiter, um uns einen würdigen Abschied zu bereiten. Mit vielen Tänzen und Danksagungen machten wir uns auf die lange Heimreise in die Schweiz. Plötzlich schienen die drei Wochen wie im Fluge vergangen. Obwohl wir unsere Begleiter der Chiro zuvor nicht kannten und unsere individuellen Leben nicht unterschiedlicher sein könnten, sind in dieser kurzen Zeit wunderbare Freundschaften entstanden. Obwohl wir über 10'000 Kilometer voneinander entfernt leben, hatten wir durch unser Engagement im jeweiligen Jugendverband von Beginn weg eine grosse und prägende Gemeinsamkeit. Sollten wir jemals erneut einen Fuss auf eine der zahlreichen philippinischen Inseln setzen, seien wir selbstverständlich überall herzlich willkommen, hiess es zum Abschied. Wir hätten praktisch im ganzen Land neue Freunde und somit eine Übernachtungsmöglichkeit. Und natürlich hoffen auch wir, diese tollen Menschen – Olan, Ruby, Chrisol, Pau, Princess, Frank, Hazel, Marie, Badette, Malou und all die anderen – einmal in der Schweiz oder im nahen Ausland begrüssen zu dürfen.